Ein Beitrag von Thomas Röhrßen
In unserem Fachbuch "Leadership Performance Krankenhaus" stellen wir im Februar 2021 unseren LEADERSHIP PERFORMANCE NAVIGATOR vor. (Thomas Röhrßen und Dietmar Stephan. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021)
Das Konzept basiert auf Erkenntnissen der Neuropsychologie, der kognitiven Verhaltenspsychologie, der Psychotherapie und systemischen Therapie, der Kommunikationspsychologie sowie der Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie, die wir entsprechend in die einzelnen Prozessmodule integriert haben. Dabei sind auch eigene Erfahrungen aus Training und Coaching von hunderten Führungskräften unterschiedlicher Branchen (Industrie, Handel, Gesundheitswirtschaft, Verwaltung etc.) über einen Zeitraum von 30 Jahren eingeflossen.
Der LEADERSHIP PERFORMANCE NAVIGATOR ist ein psychologisches Prozess- und Interventionsmodell für Führung mit 8 Prozessmodulen:
"Im Kern steht das persönliche Selbstmanagement der Führungskraft, das zentralen Einfluss auf die Performance in allen anderen Dimensionen hat. Die weiteren Dimensionen beschreiben jeweils psychologisch fundierte Führungsprozesse und Interventionen, die in bestimmen Phasen eines Mitarbeitergesprächs zur Anwendung kommen können. Die Führungskraft kann je nach Ausgangssituation und Bedarf innerhalb dieses Prozess- und Interventionsmodells Schwerpunkte setzen und entsprechend navigieren. Das erfordert eine differenzierte Diagnostik und klare Entscheidung. Stehe ich mir selbst gerade im Weg (Selbstmanagement)? Muss ich den inneren Zustand des Gegenübers verändern, bevor ich gezielt führen kann (Modus Change)? Sollte ich mich jetzt erst einmal persönlich positionieren (Selbsttransparenz)? Muss ich noch eine Störung in der Führungsbeziehung bearbeiten, um das Vertrauen und die Akzeptanz zu verbessern (Beziehung)? Ist jetzt eine systematische Rückmeldung angesagt (Feedback)? Wie kann ich aufbauend auf dem Feedback ein Ziel formulieren und gut verankern (Zielverankerung)? Welche Unterstützungsmaßnahmen sind sinnvoll (Förderung)? Wie kann ich nach gravierenden oder wiederholten Abweichungen klare Konsequenzen ziehen (Kontrolle und Konsequenz)?"
(Thomas Röhrßen: Leadership Performance. in: N. Herbig / S. Poppelreuter / H. J. Thomann (Hrsg.) Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen. 2021)
1. Selbstmanagement
Das Selbstmanagement im Zentrum des LEADERSHIP PERFORMANCE NAVIGATORS steht für die Selbststeuerung der Führungskraft. Selbstführung kommt vor Fremdführung. Häufig muss die Führungskraft vor einem Gespräch zunächst die eigene Befindlichkeit und Grundeinstellung zur Situation, zum/zur Mitarbeiter*in und zu sich selbst reflektieren, um angemessen führen zu können.
Wenn kritische Fragen aufkommen, wenn eine gewisse Befangenheit zu spüren ist, wenn die Führungskraft sich beeinträchtigt, beunruhigt, genervt, belastet, angefasst, enttäuscht, wenig motiviert fühlt oder stark verärgert ist, dann kann es sein, dass sie eine besonnene und professionelle Einstellung erst innerlich entwickeln muss. Führungstrainings und Coaching basieren heute nur noch in sehr geringem Maße auf direkter Verhaltensänderung, sondern vor allem auf einer Veränderung von Überzeugungen, Grundhaltungen und Bewertungen, die eine wirksame Führung von Mitarbeitenden mit nachhaltiger Verhaltensänderung erst ermöglichen sollen.
In der Mitte unseres Gehirns arbeitet das sogenannte limbische Systems (wir nennen es das limbisch-assoziative System 1), – das ganz unbewusst und automatisch an der Verarbeitung von Situationen beteiligt ist. Dieses System verknüpft blitzschnell Wahrnehmungsreize mit inneren Prozessen und Verhaltensimpulsen, die in einer Art "emotionalen Erfahrungsgedächtnis" gespeichert sind. Es trifft schnelle Bewertungen in 0,2 Sekunden. Wenn wir eine gewisse innere Unruhe oder Befangenheit spüren, die wir uns nicht gleich erklären können, dann liegt es häufig an der schnellen prozessualen Verarbeitung in diesem System. Dort liegen Programme, die wir bereits in vergangenen Erlebnissen und aus der Erfahrung "geschrieben" haben. Und diese Programme schauen wir uns im Selbstmanagement genauer an. Das geschieht in der Regel durch die ABC-Analyse (A= Anforderungssituation, B = Bewertung und C = emotionale, körperliche und verhaltensbezogene Konsequenzen), die wir vom amerikanischen Psychologen und kognitiven Verhaltenstherapeuten Albert Ellis übernommen haben. Die ABC-Analyse eignet sich ausgezeichnet als Coaching- und Selbstmanagementansatz für Führungskräfte. Sie ermöglicht eine systematische Identifizierung, Diagnose und Überprüfung der zahlreichen (auch irrationalen) Bewertungen, die Führungskräfte in einer Führungssituation vornehmen. Viele Führungskräfte können sich nicht vorstellen, wie viele unbewusste, automatisierte und schnelle Bewertungen sie vornehmen. Und Sie merken häufig auch nicht, wie einzelne Bewertungen einer erfolgreichen Gesprächsführung und Problembewältigung im Wege stehen. Unterhalb dieser Bewertungen in der Tiefe der Persönlichkeit liegen auch noch stark verankerte Glaubenssätze ("beliefs"). Das sind Grundannahmen über die Welt, über andere Menschen und über uns selbst, die wir mit tiefer Überzeugung vertreten.
Einen kleinen Teil dieser Grundannahmen ("beliefs") haben wir bereits in unserem BLOG-Beitrag anhand der international bereits gut erforschten Core Self Evaluations (CSE deutsch: Zentrale Selbstbewertungen) dargestellt:
Im Rahmen unserer ABC-Analyse fordern wir die Führungskraft auf, bezogen auf eine kritische Anforderungssituation aus dem Alltag die vielen kleinen Automatismen im Denken, Bewerten und Entscheiden im eigenen Inneren wahrzunehmen und zu dokumentieren. In einem nächsten Schritt hinterfragen wir gemeinsam mit der Führungskraft diese Bewertungen und die dahinter liegenden Glaubenssätze. Damit werden sie einer inneren kritischen Reflexion im cortical-mentalen System 2 zugänglich (Cortex= Großhirnrinde). Ziel ist die Veränderung von problemverhafteten und einschränkenden Denkmustern sowie irrationalen Ansprüchen in Richtung auf förderliche, lösungsorientierte und realistische Einstellungen. In der Regel benötigen Führungskräfte eine gewisse Zeit, um einzelne Denkmuster als irrational zu erkennen und aufzugeben, auch wenn sie hartnäckig im Wege stehen. Sie haben ja gelernt, fest daran zu glauben. Unsere Vorgehensweise ist wohlwollend, aber durchaus provokant. Die Bewertungen werden immer wieder herausgefordert und müssen sich dabei einer scharfen Realitätsprüfung stellen.
2. Modus-Change
Sehr häufig sind Mitarbeiter*innen nicht gerade in einem offenen und veränderungsbereiten inneren Zustand, wenn wir mit ihnen sprechen. Deshalb hören wir auch selten die Botschaft: "Großartig Chef*in, die Rückmeldung war zwar kritisch, aber sie ist richtig gut für mich. Ich habe alles verstanden, weiss jetzt genau wo ich ansetzen kann und was zu tun ist. Das werde ich jetzt konsequent umsetzen. Danke!"
Auch unsere Mitarbeitenden führen - so wie wir - einen inneren Selbstdialog mit automatischen Einstellungen, Gedanken und Bewertungen, die ihren inneren Zustand positiv oder negativ beeinflussen können. Den kritischen Zustand, aus dem heraus mit Abwehr und Verteidigung, mit Dauerrechtfertigung und Ablehnung, mit reiner Selbstberuhigung und Schonhaltung, mit Ablenkungs- und Fluchttendenzen oder einfach nur mit Stillhalten und Standhalten reagiert wird, nennen wir Protektionsmodus. Der Protektionsmodus ist in der Grundanlage funktional und hat in der Regel einen Sinn, aber er wird häufig generalisiert und dann auch auf Situationen übertragen, in denen er seine Funktion eigentlich nicht (mehr) erfüllen muss, sondern eher schädlichen Einfluss hat. Dann wird er dysfunktional. Menschen aktivieren ihren Protektionsmodus, um ihr Selbstwertgefühl zu stabilisieren und zu schützen sowie ihre emotionale Stabilität in Situationen der Unsicherheit, Kritik oder Überforderung zu bewahren. Hierbei handelt es sich um Schutzmechanismen, die auch dann eingeschaltet werden, wenn es sich gar nicht um einen Angriff oder eine wirkliche Kritik handelt. Wir haben alle irgendwann, im Umgang mit irgendwem und irgendwie auf unsere ganz individuelle Art gelernt, dass Vorsicht geboten ist und wir Schutz brauchen. Die verborgene misstrauische, verletzliche, kränkbare, überforderte und empfindliche Seite von Menschen nennen wir Vulnerabilitätsmodus. Der Vulnerabilitätmodus ist häufig vom Protektionsmodus so überdeckt, dass man ihn nicht sofort erkennt. Führungskräfte sollten wissen, dass das, was sie an Reaktionen und Verhaltensweisen an der Oberfläche geboten bekommen, häufig eher dem Protektionsmodus entspricht. Sie sollten sich weniger an diesem Protektionsmodus abarbeiten und damit das Problem eher eskalieren oder einfrieren, sondern vielmehr die Mitarbeitenden in ihrem Vulnerabilitätsmodus, d.h. in ihren Ängsten, Sorgen und Bedürfnissen ansprechen.
Deshalb sind Führungsinterventionen auf dieser Ebene nicht auf die Frage gerichtet "Wie formuliere ich mein Feedback möglichst sachlich?". Die Frage ist vielmehr: "Wie nehme ich Einfluss auf den inneren Zustand des Mitarbeitenden, so dass er/sie meine Rückmeldung gut annehmen und verarbeiten kann?". Das zeigen wir anhand von Praxisbeispielen in unserem Grundlagenwerk "Leadership Performance Krankenhaus".
3. Selbsttransparenz
In den ersten Sekunden und Minuten eines Führungsgesprächs stehen für die Mitarbeitenden häufig folgende zentrale Fragen im Vordergrund: "Was soll das hier?" "Was ist der Anlass?" "Was ist das Ziel?" "Wie ist er/sie eigentlich drauf?" "Was will er/sie von mir?" "Wo soll das hinführen?".
Führungskräfte, die erfolgreich um die Antworten auf diese wichtigen Fragen herum navigieren und die sich in übervorsichtigen Formulierungen und Andeutungen verlieren, erzeugen in der Regel zu Beginn eines Gesprächs einen beunruhigend spannungsreichen Zustand beim Gegenüber, weil sie nicht klar sind. Also: Klartext ist angesagt. Aber welche Form von Klartext ist richtig?
Führungsinterventionen auf dieser Ebene sind auf Selbsttransparenz angelegt, d.h. sie ermöglichen den Mitarbeitenden, Klarheit und Sicherheit darüber zu erhalten, was die Führungskraft für Interessen und Ziele verfolgt, in welchem emotionalen, mentalen und motivationalen Zustand sie ist, wie sie sich den Ablauf vorstellt und worauf es aus ihrer Sicht in diesem Gespräch ankommt.
Dies geschieht nicht durch blinde Authentizität, bei welcher der eigene innere Zustand, z.B. der Unzufriedenheit, des Ärgers und der Frustration, einfach nach außen gekehrt wird. Es geschieht vielmehr durch stimmige Selbstaussagen, die den eigenen Zustand nicht verdecken, aber für den Gegenüber klar und verständlich sein sollen und unnötige Provokationen vermeiden. Das heißt auf keinen Fall, dass diese Botschaften immer bequem sind. Ganz im Gegenteil: sie sollen nämlich nicht als emotionales Ventil dienen, um sich dann wieder zu beruhigen. Nein, sie sollen eine konstruktive Spannung erzeugen, die nachhaltige Veränderungen erst ermöglicht.
4. Beziehung
Das "Es" eines Gespräches ist der Gegenstand; "Es" ist das Thema, um das es im Gespräch geht. Das "Ich" ist die Führungskraft, die den eigenen "Ich-Zustand" in stimmigen Selbstaussagen artikuliert. Das "Du" ist das Gegenüber, dessen Zustand die Führungskraft verändern will, damit bestimmte Haltungen, Verhaltensweisen, Leistungen und Ergebnisse gezeigt werden. Das "Wir" ist die Art und Weise, in der die beiden zueinander stehen, wie sie ihren Kontakt gestalten, welche Rollen sie wahrnehmen, welche Erwartungen sie aneinander und an die Zusammenarbeit haben. Das ist die Ebene der Beziehung in der Führungsarbeit. Wir wissen, dass diese Ebene nicht immer von Offenheit, Akzeptanz, Vertrauen und Verständnis geprägt ist. Sie kennen diese kleinen subtilen Störgefühle, die verdeutlichen dass da zwischen-menschlich etwas nicht stimmt, dass da zwischen Ihnen und ihrem Mitarbeiter bzw. Ihrer Mitarbeiterin irgendetwas steht. Der Interventionsmodus der Führungskraft auf dieser Ebene besteht
a) in einer Fokussierung der Beziehung vorab oder der aufmerksamen Beobachtung ("Supervision") der Beziehung im laufenden Gespräch;
b) der Identifizierung feiner und wichtiger Beziehungssignale (Beziehungsmarker), die häufig nonverbal in Stimme, Mimik, Gestik und Körperhaltung ausgedrückt werden;
c) der Entschlüsselung und Interpretation dieser Signale als Beziehungsbotschaften im Sinne einer Differentialdiagnostik (einschl. der Erklärung widersprüchlicher Signale);
d) der Prüfung, ob diese Botschaften akzeptabel sind oder die Führungsarbeit stören und die Führungsarbeit beeinträchtigen (nicht jede Irritation auf der Beziehungsebene muss immer gleich bearbeitet werden);
e) der Meta-Kommunikation, d.h. der Kommunikation über Kommunikation, genauer: der Spiegelung der Signale und der Kommunikation der eigenen Interpretation ,und Bewertungen im Gespräch mit den Mitarbeitenden sowie
f) der Klärung der Beziehungsebene und Erwartungen zur Sicherung von wechselseitigem Verständnis, hoher Akzeptanz, gegenseitigem Vertrauen und aufeinander abgestimmter Vorgehensweisen. Die Meta-Kommunikation, d.h. die Entscheidung, hier und jetzt im Gespräch die Ebene zu wechseln und eigene Wahrnehmungen auf der Beziehungsebene anzusprechen, ist ein Schritt, der für viele Führungskräfte Überwindung kostet. Jetzt fallen Sätze wie: "Ich bin mit unserem Gesprächsverlauf nicht ganz zufrieden"; "Ich möchte jetzt gern über unsere Zusammenarbeit sprechen"; "Ich möchte Ihnen gern einmal sagen, wie ich unseren Kontakt empfinde"; "Ich erlebe unseren Umgang als problematisch"; "Die Art, wie Sie mich gerade angesprochen haben, wirft für mich Fragen auf" usw. An einer solchen Stelle liegen dann aber auch die entscheidenen Wendepunkte im Gespräch und im Führungsprozess. Und manchmal müssen hier dann auch Beziehungshistorien aufgearbeitet werden, in den z.B. enttäuschte Erwartungen, wechselseitige Ablehnung und Vorwürfe, einseitige Rückzüge, gemeinsame Missverständnisse, subtile Kränkungen, negative Einflüsse Dritter etc. eine Rolle gespielt haben.
5. Feedback
„Von 131 Untersuchungen zur Wirkung des Feedbacks auf die Arbeitsleistung zeigte sich bei 38 Prozent dieser Untersuchungen eine gegenläufige Wirkung. Als Konsequenz der Rückmeldung nahm die Arbeitsleistung ab – unabhängig von der positiven oder negativen Qualität des Feedbacks.“
(Julia Eversmann Die Qualität von Feedback. Coaching-Magazin 2/2012)
Die o.g. Zusammenfassung einer Vielzahl von Untersuchungen (Meta-Studie) ist wohl eher ernüchternd. Sie zeigt, dass die Effekte von Feedback (egal ob als Anerkennung oder Kritik formuliert) häufig recht bescheiden sind. Nach meiner Auffassung liegt dies ganz wesentlich daran, dass das meiste Feedback wenig empfängerorientiert formuliert wird. In unserem LEADERSHIP PERFORMANCE NAVIGATOR zeigen wir, wie man ein Feedback durch feedback-flankierende Interventionen unterstützen kann, die auf die Motivlage, die Selbstwertregulation und die Emotionssteuerung des Gegenübers ausgerichtet sind.
In unserem 6-stufigen Feedback-Konzept verbinden wir folgende Feedback-Module:
konkrete IST-Beschreibung von kritischen Verhaltensweisen, Leistungen und/oder Ergebnissen;
Darstellung der negativen Folgen und Risiken des IST (Verhalten, Leistungen, Ergebnisse);
anschauliche SOLL-Beschreibung wünschenswerter Verhaltensweisen, Leistungen und/oder Ergebnisse;
Erläuterung der mit dem wünschenswerten SOLL verbundenen positiven Folgen, Effekte, Optionen und Chancen;
Interpretation, Ursachenforschung und Hypothesenbildung bezogen auf mögliche kritische Einstellungen, Kompetenzdefizite, Grundannahmen und Motive, die dem IST (Verhalten, Leistungen, Ergebnisse) zugrundeliegen könnten;
Entwicklung und Verankerung von förderlichen Grundhaltungen, Kompetenzen und Motiven, die das positive Soll unterstützen können.
Viele Feedbackgespräche enden dort, wo sie eigentlich erst so richtig losgehen sollten. Mitarbeitende verlassen dann den Raum ohne Ursachenforschung und Wurzelbehandlung. Viele Feedbacks kratzen an der Oberfläche und ergründen nicht tieferliegende Ursachen (siehe Stufe 5) und verankern dann auch keine nachhaltigen Motive und Fähigkeiten zur Veränderung (Stufe 6). Das führt zum Kreislauf ewiger Korrektur ("Wir haben das doch schon 3 mal so besprochen"). Im Kreislauf ewiger Korrektur erkennt die Führungskraft dann nicht, dass das eigene Feedbackverhalten den Kreislauf immer weiter aufrechterhält. Diese "Mehr-desselben" -Strategie ist nicht effizient und arbeitsökonomisch. Die entscheidende Frage im Anschluss an eine einfache Ist-Soll-Beschreibung (2-stufiges Feedback): "Was hat Sie eigentlich bewogen, sich so zu verhalten? Was sind die Gründe, dass Sie diese Leistung nicht erbringen konnten?"
6. Zielverankerung
Die psychologischen Interventionen der Zielverankerung sollen das Verhalten der Mitarbeitenden auf einen wünschenswerten Zustand ausrichten. Viele Managementtheorien und Führungsmodelle orientieren sich dabei häufig am sogenannten SMART-Führungsmodell, dass ursprünglich auf die mehr als 400 Studien zurückgeht, welche die amerikanischen Arbeitspsychologen Locke und Latham zur Formulierung der sogenannten "Goal-Setting-Theorie" geführt haben.
In den letzten Jahren wurde dieser Ansatz in Wissenschaft und Praxis von Psychologen und Managementforschern wie z.B. Maja Storch (Universität Zürich) und Hans A. Wüthrich (Universität der Bundeswehr München und Universität St. Gallen) kritisch hinterfragt. Es stelle sich z.B. die Frage, ob die experimentellen "Laborbedingungen" mit den zeitgemäßen Kontextbedingungen in Unternehmen zu vergleichen sind.
(vgl. Maja Storchs Zürcher Ressourcenmodell in: "Selbstmanagement ressourcenorientiert" Hogrefe Verlag Göttingen 2017 sowie Hans Wüthrich et al. "Musterbrecher - Die Kunst das Spiel zu drehen" Murmann Verlag Hamburg 2020)
"Managementhandbücher mahnen uns, unsere SMART-ZIELE zu operationalisieren (Spezifisch, Messbar, Akzeptiert, Realistisch, Terminiert). Wenn es nach Maja Storch geht, müssten wir das wohl erst einmal lassen und uns zunächst auf die emotional-motivationalen Hintergründe konzentrieren: Welche meiner Bedürfnisse und Motive werden durch das Ziel überhaupt befriedigt? Ist das wirklich mein Ziel? Ist das Ziel ausreichend positiv aufgeladen, um mich zu fordern? Und – mal ganz psychodeutsch gesprochen – fühlt sich das Ziel auch richtig gut an? Gerade schwierige und kritische Ziele sollten emotional tief sitzen, positiv fordern und sich auch körperlich gut anfühlen (somatische Marker beachten!) . Die 'OK-Ich mach`s' - Haltung ist noch keine Leidenschaft! " (siehe Beitrag "Limbisch den Rubikon überqueren" in diesem Leadership BLOG)
In einer überschaubaren Planungsperspektive, mit sinnvollen stabilen Zielsetzungen und operational eindeutigen Maßnahmen kann das SMART-Zielkonzept natürlich angewandt werden. In komplexen Situationen, bei gefordert hoher Flexibilität und in turbulenten Umfeldern, in denen sich die Ausgangsbedingungen immer wieder ändern, sind feste Zielvereinbarungen und ausgeklügelte Masterpläne mit operational verbindlichen Maßnahmen oft problematisch. Sie können den Blick auf Chancen verstellen.
Deshalb ergänzen wir in unserem LEADERSHIP PERFORMANCE NAVIGATOR die Zielverankerung um sogenannte MOTTO-Ziele (Maja Storch). Das sind psychologisch herausgearbeitete emotional-attraktive Haltungsziele (nicht Handlungsziele), die wie ein Slogan formuliert werden. Hinter MOTTO-Zielen stehen persönliche Werte, Grundannahmen und Einstellungen.
Weiterhin unterscheiden wir die von dem Psychologen Peter Gollwitzer beschriebenen WENN-DANN-Pläne, die nach Metaanalysen von 94 voneinander unabhängigen Studien eine mittlere bis stärkere Wirkung auf den Erfolg zeigen.
WENN-DANN-Pläne sind neue, gut konstruierte, eingeübte und automatisierte Verhaltensmuster, die in bestimmten Situationen quasi reflexhaft ausgeführt werden können ("Wenn A auftritt, werde ich das Verhalten B zeigen").
7. Fördern
Der Führungsmodus "Fördern" beinhaltet alle flankierenden Interventionen, welche die Verhaltenskompetenz und Leistungsperformance verbessern, die Motivation aufrechterhalten sowie die Handlungs- und Ausführungskontrolle stabilisieren.
Feedback ist selbst eine Förderintervention. Es sollte in geeigneten Intervallen den Prozess der Zielverfolgung und Veränderung begleiten.
Qualifizierungen sind auch Förderinterventionen. Angebote wie Anleitung, Teaching, Fortbildung und Coaching sollten sich am an Selbstverantwortung und Subsidiarität ausrichten, d.h. der Betroffene definiert seinen Bedarf mithilfe der Führungskraft selbst. Selbststeuerung, Selbsthilfe, Eigen-Fortbildung und Selbst-Coaching stehen vor Fremdbestimmung und Fremdleistung. Delegation ist eine weitere Förderintervention. Dabei ist darauf zu achten, dass gemäß des von mir in Projekten entwickelten AKVH-Prinzips, d.h. Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung und Haftung also auch das Ziehen und Tragen von Konsequenzen klar formuliert sind, die Delegationsspielräume von der Führungskraft respektvoll eingehalten und emotional ausgehalten werden sowie Re-Delegationsstrategien der Mitarbeitenden unterbunden werden.
8. Kontrolle und Konsequenz
Auf dieser Ebene geht es um eine "verfahrenssichere" Vorgehensweise im Führungsprozesse, die für den Mitarbeitenden transparent ist und aus der je nach Anlass und Entwicklung definierte Konsequenzen bei auftretenden Abweichungen gezogen werden. Hierzu haben wir in unserem LEADERSHIP PERFORMANCE NAVIGATOR das Stufenkonzept der Weisungs-, Kritik- und Mahnstufen entwickelt:
(Röhrßen, Thomas/ Stephan, Dietmar; Titel. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2021. S. 153)
FAZIT
Mit dem LEADERSHIP PERFORMANCE NAVIGATOR liegt nun ein integratives Prozessmodell für Führung vor, das über psychologische Erkenntnisse, Modelle und Studien fundiert ist und Interventionsmöglichkeiten für ganz unterschiedliche situative Anforderungen von Führung beschreibt.
Thomas Röhrßen ist Dipl.- Psychologe, Coach und Unternehmensberater. Er führt seit 30 Jahren Projekte zur Strategie- und Strukturentwicklung, zur Personalentwicklung sowie Führungstrainings und Coaching in unterschiedlichen Branchen durch. Als Leadership Experte hat er ein psychologisch fundiertes Führungskonzept entwickelt.
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