Ein Beitrag von Thomas Röhrßen
Im Krankenhausjargon kursieren für Chefärzte und Chefärztinnen mit dem Nebenamt Ärztliche Direktoren und Direktorinnen vielfältige und teilweise auch fragliche Alltagsbezeichnungen und Klischees. Gern gibt man ihnen die Rolle des “primus inter pares“. Kritisch tituliert man sie als „Standesvertreter“ oder „Könige ohne Reich“. Und auch despektierliche Etiketten wie „Frühstücksdirektor“ oder "Klassensprecher" fallen schon mal im Gespräch mit dem Berater.
Unsere Führungsstrukturanalysen in Klinikkonzernen und Krankenhäusern in den letzten 30 Jahren zeigen immer noch eine komplizierte Situation rund um diese Funktion, bei der sich in manchen Fällen auch die Frage stellt, wozu diese Postion eigentlich noch gut sein soll, was sie eigentlich positiv in Kliniken bewirken kann und ob sie heute noch gebraucht wird. Aus meiner Sicht ist die Position des nebenamtlichen Ärztlichen Direktors/ der nebenamtlichen Ärztlichen Direktorin eine der schwierigsten Führungspositionen im Krankenhaus. Woran liegt das?
Zunächst gibt es ein strukturell bedingtes Dilemma, das sich aus der Konstruktion von hauptamtlicher Kernaufgabe (Chefarzt/ Chefärztin) und nebenamtlicher Managementfunktion ergibt. Die Positionsinhaber müssen bis zu 8 verschiedene Rollen inhaltlich und zeitlich ausfüllen. In diesen Rollen sollen Sie den Erfolg für das Krankenhaus mit breiter Akzeptanz im Haus und mit hoher persönlicher Zufriedenheit erreichen.
Welche 9 Rollen müssen die Positionsinhaber/innen ausbalancieren?
1. Mithelfende Meister
Als Chefärzte und Chefärztinnen sind sie in der "Expertenorganisation Krankenhaus" natürlich immer noch "mithelfende Meister" in der Patientenversorgung ihrer Klinik und erbringen persönliche Leistungen in Diagnostik und Therapie. Sie repräsentieren auch persönlich mit Ihrem Kompetenzprofil die eigene Klinik wie ein "Markenzeichen" in der öffentlichen Meinungsbildung (Personal Branding). Da bleibt nicht viel Zeit für Management und Führung.
2. Klinikchefs und Vorgesetzte
Neben der persönlichen Tätigkeit in der Patientenversorgung führen sie ein ärztliches Team, das für die besondere Qualität der Klinik steht. Das ist anspruchsvoll und aufwendig. In Zeiten des Fachkräftemangels kommen hier zahlreiche auch neue Aufgaben im Bereich der Suche, Gewinnung, Auswahl, Förderung und Bindung von Ärzt*innen hinzu.
3. Facharzt in Nebentätigkeit
Viele Chefärzt*innen erzielen neben der Kerntätigkeit im Angestelltenverhältnis noch Nebeneinkünfte im Rahmen von Wahlleistungen und Ermächtigungsambulanzen. Dieser Bereich kann, sofern damit eine starke persönliche Ressourcenbindung und hohe (materielle) Anreize für den Arzt und/oder das Unternehmen verbunden sind, zusätzlich Spannung erzeugen - ein Spagat zwischen persönlicher Leistungserbringung bei Wahlleistungspatienten, weiteren Leistungen in Diagnostik und Therapie der Klinik, Führung des eigenen Klinikteams sowie den Managementfunktionen, die wir im Folgenden darstellen.
4. Ressortleitung im ärztlichen Dienst ("Primus inter Pares")
Ärztliche Direktoren und Direktorinnen sind qua Amt auch Ressortleiter im ärztlichen Dienst des Krankenhauses. In dieser Verantwortung führen sie eine Gruppe von recht anspruchsvollen Kollegen und Kolleginnen, nämlich die leitenden Ärzte der anderen Kliniken. Diese sind einzeln oder als Gruppe nicht immer leicht zu führen. Häufig sind in der Direktorenrolle die Weisungsbefugnisse innerhalb des medizinischen Ressorts nicht klar definiert. Selbst wenn entsprechende Weisungsbefugnisse gegenüber den Kolleg*innen vorliegen, ist deren Anwendung und Durchsetzung in der Regel mit gewissen Akzeptanzproblemen im Kollegenkreis verbunden.
5. Betriebsleitungsfunktion/ Mitglied im Direktorium
Ärztliche Direktoren und Direktorinnen sind in der Krankenhausbetriebsleitung über das medizinische Ressort hinaus neben der Geschäftsführung bzw. Kaufmännischen Direktion und der Pflegedirektion als Verantwortliche für die klinische Betriebsorganisation als Ganzes zuständig. Sie tragen somit unterhalb der Geschäftsführung Gesamtverantwortung für den klinischen Betrieb in einer häufig stark versäulten Krankenhausorganisation. Da in dieser berufsständischen Versäulung häufig nur wenige integrative Querverbindungen zwischen den Säulen bestehen, müssen sie intensiv an den Schnittstellen arbeiten. Ein schwieriger Job.
Häufig werden Informationen, Probleme und Konflikte entlang der Säulen von oben nach unten sowie von unten nach oben "gespielt". Dann werden Konflikte, die sich in einzelnen Bereichen bzw. auf einzelnen Stationen zwischen ärztlichem und pflegerischen Dienst auftreten sogar im Einzelfall innerhalb der Säulen Medizin und Pflege bis hoch in die Krankenhausbetriebsleitung getragen. In ihrer Rolle innerhalb der Betriebsleitung kommt es für die Ärztliche Direktoren auch darauf an, als professionelle Teamplayer auf der Führungsebene aktiv mitzuwirken. In einigen Krankenhausbetriebsleitungen spiegeln sich die berufsständische Konflikte und Interessenkonflikte der Organisation ab, die das ganze Unternehmen belasten oder sogar spalten.
Sofern die Ärztliche Direktion nicht gleichzeitig in geschäftsführender Verantwortung tätig ist, ist die übergeordnete Geschäftsführung gemäß § 26 BGB bzw. § 35 GmbH-Gesetz gesetzlicher Vertreter des Unternehmens nach innen und außen, so dass die Geschäftsführung letztendlich in der Verantwortung und Haftung für organisatorische Entscheidungen in der Unternehmens- und Betriebsführung steht.
6. Medizinische Sonderfunktionen
Häufig übernehmen Ärztliche Direktor/innen auch medizinische Sonderfunktionen in der fachlichen Überwachung und Steuerung des klinischen Betriebes ein und leiten die entsprechenden Kommissionen und Besprechungen (z.B. Überwachung der Krankenhaushygiene, Pandemiebeauftragte/r, Leitung der Arzneimittelkommission etc.).
7. Medizinstrategische Beratungsfunktion
Die Ärztliche Direktion nimmt als nebenamtliche ärztliche Managementaufgabe häufig auch eine zentrale Funktion als medizinstrategischer und konzeptioneller Berater in der Entscheidungsvorbereitung für die Geschäftsführung wahr. In dieser Funktion erfolgt schwerpunktmäßig eine kontinuierlichen Analyse der gesetzlichen, gesundheitspolitischen, regionalen, unternehmerischen und betrieblichen Rahmenbedingungen der medizinischen Leistungserbringung (z.B. Bedarfsentwicklung, klinische Angebotsstruktur, medizinische Trends, lokale und regionale Markt- und Mitbewerberstruktur, medizinisch-fachliche Entwicklungen und medizintechnologische Innovationen, Entwicklung des ärztlichen Arbeitsmarkts, Analyse des medizinisches Qualitätsprofil, der Organisations- und Personalstruktur, der Leistungsentwicklung und Wirtschaftlichkeit sowie der Stärken und Schwächen sowie Risiken und Chancen einzelner Zentren und Kliniken usw.). Aufbauend auf diesen Analysen beraten Ärztliche Direktoren und Direktorinnen die Unternehmensführung in der medizinstrategischen Zielbildung, Positionierung und klinischen Markenprofilierung sowie bei der Etablierung neuer Klinikschwerpunkte und -konzepte. Dies erfordert eine grundliegende Fähigkeit zu unternehmerischem Denken sowie medizinstrategische Kompetenzen, die weit über die Entwicklung des eigenen Fachgebiets hinausgehen.
8. Repräsentationsfunktion/ Sprecherrolle
Mit der Funktion der Ärztlichen Direktion ist meistens auch eine Sprecherrolle für das medizinische Ressort sowie die Pflege von Kooperationsbeziehungen im lokalen, regionalen und überregionalen Umfeld verbunden (insbesondere ambulante und stationäre Kooperationspartner, Institutionen des Sozial- und Gesundheitswesens, Universitäten, medizinisch interessierte Öffentlichkeit etc.).
9. Moderatoren- und Vermittlerrolle
In einigen Kliniken übernehmen Ärztliche Direktoren auch eine zentrale Vermittler- und Moderatorenfunktion bei Beurteilungs-, Interessen-, Ziel- und Verteilungskonflikten zwischen den Chefarztkollegen sowie zwischen den Chefärzten und anderen Berufsgruppen und Bereichen. In dieser Rolle unterstützen sie die interdisziplinäre und berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit. Voraussetzungen hierfür sind einerseits eine neutrale Grundhaltung, ein integrativer Kommunikationsstil und Moderationskompetenzen sowie andererseits natürlich eine gewisse Grundakzeptanz bei den betroffenen Führungskräften.
Rollenambiguität als psychologische Managementkompetenz und Loyalitätsverpflichtung
Die Ärztliche Direktion ist durch die Konstruktion in der haupt- und nebenamtlichen Tätigkeit gezwungen, für die nebenamtlichen Rollen ausreichend zeitliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus die Rollenvielfalt mit entsprechender Rollenambiguität zu meistern. Rollenambiguität ist die Fähigkeit, verschiedene und teilweise widersprüchliche Rollen und Erwartungen zu managen. Einerseits müssen die gelebten Rollen klar abgegrenzt werden („Welchen Hut habe ich gerade auf?“) und andererseits müssen die Widersprüche und Spannungen zwischen den Rollen ausgehalten und angemessen ausbalanciert werden. Ärztliche Direktoren und Direktorinnen müssen sich häufiger fragen, aus welcher Rolle sie gerade agieren und welche Rolle sie in einer gegebenen Situation (eigentlich) einnehmen müssen. Ihre Akzeptanz und Glaubwürdigkeit hängt auch davon ab, ob sie die richtige Rolle einnehmen wollen und können. Manchmal müssen sie die eingenommene Rolle situativ klar markieren und unmissverständlich artikulieren. Ein Ärztlicher Direktor bzw. eine Ärztliche Direktorin im Krankenhaus muss z.B. zwischen der Vorgesetztenrolle in der eigenen Klinik, seiner/ihrer Kollegialität im Chefarztteam, der Rolle des moderierenden und integrierenden „primus inter pares“ , der nicht berufsständischen Organisationsverantwortung in der Betriebsleitung sowie der neutralen Verantwortung in der medizinstrategischen Analyse, Positionierung und Konzeption für das Gesamtunternehmen einerseits trennscharf unterscheiden sowie andererseits diese gut ausbalancieren können. Das ist eine Herausforderung.
Eine enge Anbindung der Ärztlichen Direktion an die Unternehmensführung beinhaltet die Verpflichtung Partikular- und Ressortinteressen immer gegenüber dem unternehmerischen Gesamtinteresse zurück zu stellen sowie die Aufgabe, die Entscheidungen der Unternehmensführung (geschäftsführendes Organ) loyal zu unterstützen.
Vermeidung von Verantwortungsdiffusion durch klare Aufgaben- und Kompetenzbeschreibung
Die Ärztliche Direktion als nebenamtliche Führungsaufgabe eines Chefarztes hat im Vergleich zu anderen Managementpositionen im Krankenhaus häufig keine direkte disziplinarrechtliche Vorgesetztenfunktion, keine genau definierten Weisungs- und Delegationsrechte und auch keine oder nur wenige zugeordneten Führungs-, Stabs- und Verwaltungsfunktionen, welche die Führungsaufgabe operativ unterstützen. Das erschwert die Umsetzung und Durchsetzung eigener Ziele, Konzepte, Masterpläne und Projekte. Aus der Komplexität der Rollen sowie den unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen ist eine klare Positionsbeschreibung mit eindeutigen Aufgaben- und Kompetenzregelungen bzw. eine Geschäftsordnung mit Geschäftsverteilungsplan dringend erforderlich, um diese ärztliche Managementfunktion erfolgreich im Führungssystem zu positionieren.
Duale und mehrköpfige ärztliche Führungs- und Beteiligungsmodelle in der Unternehmens- und Betriebsführung
In den letzten Jahren setzen sich zunehmend auch duale und mehrköpfige Führungsmodelle in der nebenamtlichen Ärztlichen Direktion durch, bei der zwei oder mehrere Ärztliche Direktoren partnerschaftlich auf Augenhöhe als gut abgestimmte Führungsachse agieren. Denkbar ist auch ein Führungsgremium (Managementkonferenz im Bereich Strategie und/oder klinische Organisation, in dem nebenamtlich managementverantwortliche Chefärzte in aktiver Mitwirkung an der Unternehmensentwicklung beteiligt werden.
Duale oder mehrköpfige Direktions- und Beteiligungsmodelle ermöglichen auch eine fachlich breitere Aufstellung im Bereich der medizinstrategischen, fachlich-konzeptionellen sowie klinisch-organisatorischen Expertise (z.B. 1 Vertreter aus einem operativen Fach und 1 Vertreter aus einem konservativen Fach) und je nach persönlichem Eignungsprofil auch eine Arbeitsteilung , die sich am jeweiligen Persönlichkeits- und Führungsprofil ausrichtet ( z.B. ist ein Funktionsträger stärker als medizinstrategischer Impulsgeber und der andere stärker integrativer Moderator der Chefarztgruppe).
Praxisbeispiel
Im Mitarbeitermagazin "mensch joseph" des Josephs-Hospitals in Warendorf finden Sie einen Kurzbeitrag zu dem erfolgreichen dualen Führungsmodell auf Seite 9:
Fazit
Die Ärztliche Direktion ist und bleibt wohl eine anspruchsvolle Führungsaufgabe im Krankenhaus, die vom Positionsinhaber einiges abverlangt. Je besser das Aufgaben- und Kompetenzprofil eines Ärztlichen Direktors bzw. einer Ärztlichen Direktorin beschrieben ist, je stärker die Management- und Führungsqualifikation profiliert ist und auf eine reine berufsständische Interessenvertretung verzichtet wird, je stärker er/sie sich auch als Teamplayer in der Unternehmens- und Betriebsführung versteht und je höher die Akzeptanz der Rolle als solche und des Positionsinhabers an sich sowie die Vernetzung auf allen Ebenen im eigenen Unternehmen ist, desto mehr kann ein Ärztlicher Direktor bzw. eine Ärztliche Direktorin maßgeblich zum Unternehmenserfolg beitragen.
Thomas Röhrßen ist Dipl.- Psychologe, Coach und Unternehmensberater.
Er führt seit 30 Jahren Projekte zur Strategie- und Strukturentwicklung, zur Personalentwicklung sowie Führungstrainings und Coaching in unterschiedlichen Branchen durch.
Als Leadership Experte hat er ein psychologisch fundiertes Führungskonzept entwickelt.
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