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AutorenbildThomas Röhrßen

VideoCoaching, die unterschätzte Alternative!

Aktualisiert: 16. Aug. 2023


Ein Beitrag von Thomas Röhrßen



Stellen wir mal eine provokante Frage: Ist virtuelles Coaching nicht besser als reales Coaching ? Meine Antwort: Ja und nein.


VideoCoaching leidet immer noch daran, dass die meisten Führungskräfte sich nicht richtig vorstellen können, welchen Vorteile virtuelle Bild – und Tonübertragungen gegenüber einer realen und ganzheitlichen "körperlichen" Begegnung im Raum haben könnten. Viele Führungskräfte haben kaum Erfahrung im VideoCoaching sammeln können. Es fehlt ihnen noch die Grundlage für eine belastbare Beurteilung.


Die Welt hat sich dramatisch gewandelt. Die Corona Krise veränderte viele Gewohnheiten des Managements. Home-Office, Videokonferenzen und Virtual Leadership haben die Interaktion und Kommunikation in einer so umfassenden Weise verändert, wie wir es uns nie hätten vorstellen können. Das ist erst der Anfang einer ganz neuen Ära, in der wir uns in drei "gleichberechtigten" Welten bewegen: unserer physischen privaten Welt, unser physischen beruflichen Welt und unserer virtuellen Welt, die sich zunehmend als Welt mit eigenen Gesetzen, Regeln und Gewohnheiten aus den Einschränkungen der beiden anderen Welten befreit und ihre Eigenständigkeit behauptet.


Unter dem Titel "Ist Streaming das neue Fliegen? Der Digitalisierungsschub in Zahlen" schreibt der MDR:

„Laut den Betreibern des Internet-Knotens DE-CIX hat sich die Nutzung von Streaming- und Konferenz-Diensten in der Corona-Krise um 30 Prozent erhöht, der Datenverkehr sei insgesamt um zehn Prozent gestiegen. Bei der Nutzung von Videokonferenzen gab es den Studienautoren zufolge durch die Corona-Krise einen Anstieg um 120 Prozent. Allein der Videokonferenz-Anbieter Zoom hat in den vergangenen Monaten seinen Umsatz um 169 Prozent steigern können."

(MDR online am 11. Juni 2020)


Die großen Vorteile des VideoCoaching gegenüber dem konventionellen Coaching liegen in folgenden Punkten:


1. Optimales Matching

Die Chance, genau den Coach zu bekommen, der zu Ihnen passt, der Ihr Problem versteht und der die beste Professionalität für Ihre Themen einbringt, erhöht sich exponentiell, wenn Sie bereit sind, neben dem regionalen Coach „gleich um die Ecke“ auch virtuelle deutschsprachige Coachs (global) im Netz in Betracht zu ziehen.

Die Chance ist dann einfach größer, den Coach zu finden, der sich auf Ihre Branche spezialisiert hat, der gut auf Ihre persönlichen Fragestellungen vorbereitet ist, der Ihre Sprache spricht und Ihre Situation genau versteht. In einer kurzen unverbindlichen Info-Sitzung (ca. 15 Minuten) könnten Sie ohne großen Aufwand schon recht gut prüfen, wer zu Ihnen passt. ("Coaching Info-Dating").


2. Hohe Effizienz

Das Verhältnis von Aufwand und Nutzen ist beim VideoCoaching sehr gut. Wenn Sie am Standort Köln tätig sind und wollen einen Coach in Osnabrück konsultieren bzw. Sie bitten den Coach, Sie vor Ort zu beraten, dann ergeben sich für das Hin und Zurück (KFZ oder Bahn) einschließlich der organisatorischen Vorbereitungszeiten und der einzuplanenden Pufferzeiten zwischen 5-6 Stunden nicht voll produktiver Fahrzeit. Es ergibt sich bei einer Coaching-Sitzung von 3-4 Stunden letztendlich kein optimales Verhältnis von Fahrtzeit und Beratungszeit. Sofern der Coach die Beratung an Ihrem Standort durchführt, muss er auch die Fahrtzeit in einem bestimmten Umfang berechnen. Dann entstehen neben den Fahrtkosten noch Honorare für die Fahrtzeit. Das gilt es abzuwägen.


3. Situative Flexibilität

Ein VideoCoaching kann aufgrund des optimalen Verhältnisses von Aufwand und Nutzen ohne Rücksicht auf zusätzliche Organisationszeiten und Mobilitätskosten kurzfristig und situativ flexibel online "anberaumt" werden. Sitzungsdauer und -intervalle können optimal am jeweiligen Bedarf ausgerichtet werden. Der Coachingkunde muss nicht einen umfassenden Themenspeicher aufbauen, um die gesammelten Fragestellungen alle in einer langen Klausur mit dem Coach zu bearbeiten.


4. Psychologisch fundiert

Im VideoCoaching sind bei akzeptabler Bild- und Tonqualität für die Gesprächspartner wichtige verbale und nonverbale Informationen verfügbar.

Die Sprache, die paraverbale Stimmqualität und die Gesichtsmimik sind nach psychologischen Erkenntnissen die zentralsten und zuverlässigsten Signalsysteme im Dialog (siehe psychologische Erkenntnisse hierzu unten). Aus eigener Erfahrung im VideoCoaching konnte ich feststellen, dass über die Konzentration auf diese Signalwelt mit optimaler Auflösung der optischen Information auf einem größeren Bildschirm, mit guter Qualität der Tonübertragung und einer professioneller Routine des Coach teilweise sogar eine noch bessere Erkennung von inneren Zuständen des Gesprächspartners möglich ist, als in räumlichen Situationen mit höherem Abstand und vielen ablenkenden Umweltreizen in Büro-, Seminar- und Konferenzräumen.


FAZIT: In der Post-Corona-Ära wird das VideoCoaching eine bedeutende Rolle bei der Unterstützung von Führungskräften spielen!



Jetzt wird es fachlich...


Wenn Sie gern noch mehr über weitere psychologische Hintergründe der verbalen und nonverbalen Kommunikation wissen wollen, dann lesen Sie hier weiter.......



Erkenntnisse der Psychologie zur verbalen und nonverbalen Kommunikation.


Menschliche Kommunikation ist analog und digital. Das ist das 4. der fünf von dem weltweit wohl bekanntesten Kommunikationspsychologen Paul Watzlawick (*1921 - gest. 2007) aufgestellten Axiome.


"Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Weisen, in denen Objekte dargestellt und damit zum Gegenstand von Kommunikation werden können. Sie lassen sich entweder durch eine Analogie (z.B. eine Zeichnung) ausdrücken oder durch einen Namen. (...).

Namen sind Worte, deren Beziehung zu dem damit ausgedrückten Gegenstand eine rein zufällige oder willkürliche ist. (...). In der analogen Kommunikation dagegen finden wir etwas besonders Dingartiges in dem zur Kennzeichnung des Dings verwendeten Ausdruck; schließlich liegt es ja im Wesen einer Analogie, dass sie eine grundsätzliche Ähnlichkeitsbeziehung zu dem Gegenstand hat, für den sie steht."

(Paul Watzlawick. Man kann nicht nicht kommunizieren. Das Lesebuch. Hogrefe Verlag Bern 2016. S. 25 f.).


Die reine und ungefärbte Sprachinformation im Coaching-Dialog ist digital. Sie erfordert die Codierung und Decodierung von Zeichen innerhalb eines definierten Symbolsystems aus Worten und Sätzen (Semantik und Syntaktik), um Sachverhalte klar zu beschreiben und zu verstehen. Im Coaching spielen natürlich auch die Informationen aus den analogen Ausdrucksformen der Kommunikation eine besondere Rolle. Diese Informationen sichern das sachlich richtige Verstehen der Sachverhalte aber vor allem auch das emotional empathische Verständnis des Gegenübers im Dialog ab.


"Diesen Ausdruckszeichen kommt in der interpersonalen Regulation von Emotionen eine herausragende pragmatische Funktion zu (...): Indem ein Ausdruckszeichen die Aufmerksamkeit des Empfängers auf den Sender lenkt, hat es eine Symptomfunktion, es signalisiert das aktuelle Gefühl des Senders. Indem es die Aufmerksamkeit des Empfängers auf den Empfänger lenkt, hat es Appellfunktion; es ruft beim Empfänger einen Eindruck hervor, in bestimmter Weise handeln zu sollen. Ein Ausdruckszeichen kann aber auch in seiner Symbolfunktion genutzt werden, aufgrund der Zuordnung des Zeichens zu emotionalen Zuständen, die es stellvertretend repräsentiert. Dann ist es dem Sender möglich, so zu tun, als ob er das ausgedrückte Gefühl aktuell fühlt, und damit all die Wirkungen im Empfänger hervorrufen zu können, die auch eine aktuell gefühlte Emotion hervorrufen würde. Dies führt zu einer enormen Flexibilisierung der interpersonalen Regulation." (Manfred Holodynski. Die Entwicklung von Emotion und Ausdruck - vom biologischen zum kulturellen Erbe. ZIF-Mitteilungen 03/2004, S. 5 f. im Internet verfügbar).


Die nonverbale Kommunikation beinhaltet 2 Dimensionen:


a) paraverbale Aspekte (Stimmhöhe und Stimmstärke, Rhythmus, Tempo und Timbre sowie andere Artikulationsmodi der Stimme wie z.B. flüssig, stockend, verstellt, affektiv etc.)

b) nonverbale Aspekte (z.B. Mimik, Gestik, Körperhaltung, Kinesik etc.).


Die Stimme ist das wichtigste nicht verbale Signalsystem im Bereich der Emotionserkennung und -steuerung. Hierzu liegen zahlreiche Studien vor (vgl. die Studien- und Übersichtsarbeit: Elena Tecchiati. Emotionserkennung über die menschliche Stimme. GRIN-Verlag 2012).


"Interkulturelle Studien zeigen, dass die Fähigkeit, Emotionen über Stimme und Sprache zu erkennen, eine wichtige Komponente der menschlichen Kommunikation ist." (Tachiati 2012, S. 17)


Dirk Eilert, der sich auf die Erforschung und das Training von Mimikresonanz spezialisiert hat, verdeutlicht, dass die Mimik ein "zuverlässiges Signalsystem für unsere Emotionen" ist.


Die Zuverlässigkeit der Mimik ergibt sich u.a. auch daraus, dass die Mimik zwar in den Makroexpressionen willentlich gesteuert werden kann, aber in den Mikroexpressionen nicht wirklich lügen kann.


"Warum ist gerade die Mimik so prädestiniert dafür, unsere Gefühle auszudrücken? Einer der Hauptgründe dafür ist, dass unsere mimische Muskulatur direkt mit unserem limbischen System verknüpft ist. Dadurch werden Emotionen im Gesicht besonders deutlich. Das limbische System ist ein entwicklungsgeschichtlich sehr alter Teil des Gehirns, der sich aus mehreren Strukturen zusammensetzt (zum Beispiel Amygdala und Hippocampus), die alle in irgendeiner Form mit der Emotionsverarbeitung zu tun haben. In der Evolution hat es sich als überlebenswichtig erwiesen, dass wir in Gefahrensituationen blitzschnell - ohne langes Nachdenken - reagieren. Dies hat dazu geführt, dass unser emotionales System ca. 500 Millisekunden schneller als unser Denkapparat (das Großhirn) ist. Unsere Mimik bildet dieses duale System von bewusstem Denken auf der einen Seite und schnellen, unwillkürlichen Emotionen auf der anderen Seite perfekt ab: Es gibt Gesichtsausdrücke, die bewusst beeinflusst werden können (Makroexpressionen) und es gibt ebenso unwillentlich gesteuerte Expressionen (Mikroexpressionen). Studien mit Patienten, die Gehirnschäden im pyramidalen System haben, belegen diese duale Steuerung auf dramatische Weise. Liegt eine Schädigung im pyramidalen System vor, so können Betroffene nicht lächeln, wenn man sie darum bittet. Erzählt man ihnen aber einen Witz oder amüsieren sie sich über etwas anderes, beginnen sie unwillentlich zu lächeln. Makroexpressionen sind - da willentlich gesteuert theoretisch zwar kontrollierbar, mehrere Studien haben aber gezeigt, dass eine uneingeschränkte Kontrolle der Mimik nicht möglich ist. Der Versuch, die eigenen Emotionen zu verbergen, resultierte lediglich in einer Reduzierung der nonverbalen Signale, nicht aber in einer absoluten Vermeidung. Selbst die direkte Anweisung, in einem Gespräch bestimmte mimische Bewegungen nicht auszuführen (zum Beispiel das Hochziehen der Augenbrauen oder Lächeln), konnten Probanden in einer Studie nur in geringem Maße nachkommen. Fazit: Mimik lässt sich nur eingeschränkt kontrollieren. Besonders die unwillentlichen und sehr schnellen Mikroexpressionen (auch Mikromimik genannt) sind sehr zuverlässige Signale mittels derer wir auf den emotionalen Zustand eines Menschen schließen können."

(Dirk Eilert. Die Mimik - das zuverlässige Signalsystem für unsere Emotionen) https://www.dirkeilert.com/de/blog/75/die-mimik-das-zuverlaessige-signalsystem-fuer-unsere-emotionen

Das VideoCoaching lebt neben der digitalen Kommunikation von Sachverhalten vor allem von der Kraft und Dynamik der Stimme und der Mimik, die in ihren Mikroexpressionen nicht kontrolliert werden und somit als authentische Signale für Stimmungslagen zwischen Sender und Empfänger im Dialog gelten können.


Thomas Röhrßen ist Dipl.- Psychologe, Coach und Unternehmensberater. Er führt seit 30 Jahren Projekte zur Strategie- und Strukturentwicklung, zur Personalentwicklung sowie Führungstrainings und Coaching in unterschiedlichen Branchen durch. Als Leadership Experte hat er ein psychologisch fundiertes Führungskonzept entwickelt.

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1 Comment


lohenner
Jan 27, 2021

Lieber Thomas,


vielen Dank für deine Impulse zu einer auch für mich wichtigen Frage. Ein paar Gedanken dazu:


Liebe Mitlesende,

1) neben die nonverbale Kommunikation stelle ich so etwas wie Atmosphäre, Schwingungen.

Wenn ich neben einem Menschen sitze, kann ich mit geschlossenen Augen mitbekommen, wie er oder sie „drauf ist“. Ich beziehe mich hier auch auf Erfahrungen in der Begegnung mit demenetiell veränderten Menschen.

Alles, was da „im Raum ist“, steuert unsere Kommunikation – ich kann mir das im besten Fall bewusst machen. Nichts davon überträgt sich digital.


2) In einer eins zu eins Situation kann ich mich am Bildschirm gut auf meine/n Coachee konzentrieren. Den Versuch eines digitalen Team-Coachings fand ich dagegen eher unglücklich.

Team-Coaching lebt für mich ja…


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